Wolkenkratzer oder Luftschloss

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Wolkenkratzer oder Luftschloss

Oder: warum die Architektur unseres eigenen Lebens allein bei uns selbst liegen sollte

Wir Menschen befinden uns permanent in der Bauphase am Gerüst unseres eigenen Lebens: wir gestalten, verändern und modellieren inspiriert durch unsere Erfahrungen und Prägungen, aber auch durch unsere Wünsche und Träume.

Für unser individuelles Bauwerk stehen uns die verschiedensten Materialien zur Auswahl, welche je nach Zielsetzung des Bauherrn/-frau ganz unterschiedlich genutzt und kombiniert werden: ob ein Gerüst aus finanzieller Absicherung und Mauern aus familiärer Geborgenheit oder ein Fundament aus Entdeckerfreude und ein Dachstuhl aus purer Freiheit: So unterschiedlich wir Architekten sind, so divers erscheinen unsere Bauwerke.

Wie in jedem Bauprozess gibt es immer auch Ereignisse, neue Eindrücke oder Veränderungen im Umfeld, die eine Abweichung vom Plan notwendig und sinnvoll machen – im Fall unserer Lebensplanung können dies sowohl Veränderungen im familiären oder beruflichen Umfeld sein, als auch die bloße Unzufriedenheit mit einer bestehenden Situation.

Worauf baust Du?

Nehmen wir einmal an, es gäbe grundsätzlich 2 (extrem) verschiedene Herangehensweisen an die Architektur unseres Lebens.

Die erste sei der Wolkenkratzer: Stabil, solide, weithin sichtbar und eindrucksvoll steht er da. Erbaut nach einem festen und im Vorhinein bis ins kleinste Detail durchdachten Bauplan unterliegt er genauen Vorgaben und Richtlinien in der Konstruktion und erfüllt alle Kriterien und Voraussetzungen als sicheres, standfestes Bauwerk. Gestrebt wird in die Höhe – frei nach dem Motto: je höher, desto besser.

Als besonders hohes, repräsentatives Gebäude, dient der Wolkenkratzer als Symbol wirtschaftlicher Macht und steht für das permanente Streben nach Wachstum.

Übertragen auf das Leben wäre das Fundament hier ein Bedürfnis nach Sicherheit und Planbarkeit, auch spielt der Prestigegedanke des „Lebenswerkes“ eine Rolle. Höher, schneller, weiter ist die Devise – der Wunsch nach dem Größten und Besten treibt den Bauherrn an.

Die dem Wolkenkratzer gegenüberstehende, zweite mögliche Konstruktionsform, sei das Luftschloss: laut Definition handelt es sich hierbei um eine „Vorstellung oder einen Plan von etwas, dass man sich ersehnt, herbeiwünscht oder erträumt, was aber bei vernünftiger Betrachtung nicht realistisch ist“. Als analoge Begriffe werden „Hirngespinst“ und „Fantasiegebilde“ angegeben. Wir haben es hier also weniger mit einem feststehenden Gebäude zu tun, sondern vielmehr mit einem völlig frei gestaltbaren, undefinierten und dadurch zugleich stets wandelbaren Wunsch-Gebilde, für dessen Errichtung es vor allem Fantasie bedarf – wenn es denn überhaupt erbaut werden kann.

Hier spielen also Sicherheiten, Vorschriften und einzuhaltende Richtlinien keinerlei Rolle, ebenso gibt es kein festgelegtes Lebens-Ziel. Es gilt das Pippi-Langstrumpf Prinzip: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!

(Anmerkung: Selbstverständlich gibt es zwischen diesen beiden extrem verschiedenen Bau-Stilen auch ein riesengroßes, buntes Mittelfeld: die Eigentumswohnung als Kompromiss …, die Stadtvilla, das Einfamilienhaus im Grünen… die Möglichkeiten und Gestaltungsformen als Bauherr/frau, die eigenen Wünsche uns Vorstellung vom Leben zu kombinieren und auszuleben sind einfach riesig!)

Das Leben als Projekt samt „Endergebnis“

Die allermeisten (Lebens-)Projekte werden mit der Wolkenkratzer-Methode angegangen: Nämlich mit dem Ziel, im Ergebnis das Größte, Beste, alles Überragende zu erschaffen – insbesondere in Bezug auf unser Leben, in dem wir „etwas erreichen“ wollen und „es zu etwas bringen“ müssen.

Hierbei wird es dann allerdings schwierig, sich auf oben genannte Veränderungen einzustellen, da ein fester Bauplan samt einzuhaltenden Fristen und zu erreichenden Zwischenzielen besteht.

Diese Anpassungsschwierigkeit entsteht unter anderem auch dadurch, dass die Bauvergabe an „Externe“ erfolgt ist: Der Baufortschritt am eigenen Lebens-Gerüst wird maßgeblich von beispielsweise dem Arbeitgeber, der Familie und/oder einzuhaltenden gesellschaftlichen Verpflichtungen beeinflusst – ein schleppendes Vorankommen was die Verwirklichung der eigenen Ideen anbelangt ist oft die Konsequenz.

Bequem daran ist, dass andere Schuld sind, sollte etwas nicht so laufen, wie gewünscht 😉

Der Architekt und Bauherr kontrolliert also ab und zu den Baufortschritt. Sollte etwas nicht so laufen wie im eigenen Plan konzipiert, wird dennoch selten die eingegriffen – denn das große „Endergebnis“, – das gesteckte Ziel – könnte dann in Gefahr sein, eventuell rückt eine Erreichbarkeit gefühlt in weite Ferne. Also: Augen zu und durch – oder wie?

Ein Beispiel: Wenn der Job einen nicht erfüllt oder gar unglücklich macht, wird doch in den seltensten Fällen einfach gekündigt. Die Angst vor „keinem Einkommen“ und der im sozialen Umfeld verrufenen Arbeitslosigkeit gepaart mit den bereits eingegangen Verpflichtungen, welche bedient werden wollen, machen einen kurzen Prozess häufig fast unmöglich. Und so gibt es dann nicht wie im Bauplan festgehalten eine offene Küche, sondern die mit der festen Tür zum Wohnzimmer – also keinen neuen, erfüllenden Job mit evtl. Abstrichen beim Gehalt, sondern stattdessen das ganz persönliche „… und täglich grüßt das Murmeltier“.

Am Ende der Bauphase steht dann beim Wolkenkratzer als Gesamtkonstrukt ein Endergebnis – das zu einem definierten Zeitpunkt X bezugsfertige Gebäude. Nicht ein Raum nach dem anderen, ein Stockwerk auf das nächste, sondern alle Bauprozesse an allen Ecken und Enden des Bauwerks laufen gleichzeitig – meistens, um Zeit und Geld zu sparen.

Ganz im Gegenteil dazu steht das Luftschloss. Es wird in Eigenregie erbaut und seine Struktur, Form, Gestaltung und Größe hängen einzig und allein von den Fähigkeiten des Bauherrn und Architekten ab: keine Fremdvergabe, sondern komplette Eigenregie!

Die Bauweise ist anders als beim Wolkenkratzer nach und nach angesetzt, Zimmer für Zimmer, Etage für Etage – und mittendrin auch mal ein Umbau, wenn es nicht mehr gefällt. Dies bietet zu jeder Zeit bereits im Hier und Jetzt immer ein Stück selbst gestaltetes Lebensumfeld, in dem wir uns als Bauherr wohlfühlen – und sei es auch zunächst noch so klein, ist es doch genau so, wie wir es uns selbst und bewusst gestaltet haben.

Bleiben wir beim Beispiel aus dem Wolkenkratzer Modell: Die Küche soll offen mit dem Wohnraum verbunden sein – dann wird sie genau so gebaut. Ergo: Bei Unzufriedenheit wird der Job also gekündigt um etwas zu finden, dass glücklicher macht.

Und so gehen die Veränderungen weiter und weiter, werden auf den Weg gebracht und umgesetzt – bis das Zimmer immer größer und die Etage immer geräumiger ist.

Da es kein „End-Ziel“ gibt, werden wir natürlich nie fertig. Ein solcher Bau basiert auf Träumen und Wünschen. Auf einem ersten Gedanken, der sich entwickelt, dessen Idee aber so reizvoll und verfolgenswert erschien, dass der Weg eingeschlagen wurde.

 

Oft entsteht das Konzept eines Luftschlosses aus der „gescheiterten“ Idee eines einstmaligen Wolkenkratzers. Wobei gescheitert das falsche Wort ist: eine Veränderung hat eine Anpassung des Bauplans gefordert – und der Wolkenkratzer-Architekt hat sich darauf eingelassen. Denn: Jeder von uns baut Luftschlösser! Jeder träumt mal, schmiedet Pläne – um diese dann aber häufig in der Schublade unter der Kategorie: „das wird ja eh nichts, weil blablabla“ oder „das geht ja sowieso nicht, weil blablabla“ oder auch „das kann ich gar nicht machen, weil blablabla“… Werden sie dann doch konkret angegangen und umgesetzt, kann mit dem Willen der Veränderung auch aus einem Wolkenkratzer immer auch ein Luftschloss werden!

Als kleines Trostpflaster: Die meisten von uns werden von Klein auf auf‘s Wolkenkratzer bauen geprägt, erzogen und getrimmt, sowie durch schon sehr früh angelegte Bausparverträge, Versicherungen und Geldanlagen im Kleinkindalter gezielt (und gut gemeint) darauf vorbereitet. Dies bringt uns dann in eine emotionale Situation der „Bringschuld“, mit diesem „Startkapital“ auch „etwas anzufangen“ oder das „Potenzial auch zu nutzen“.

Angekommen. Aber wo?

Ich denke, wir als Mensch sind nie „fertig“ oder erreichen ein endgültiges „Ziel“ im Leben. Es gibt Teilstrecken, Etappen und Zwischenstopps, ganz abhängig von möglicherweise gesteckten Zielen, unseren Träumen und Wünschen, unseren Bedürfnissen, Prägungen und unserem Alter. Alles ist im Wandel, genau wie wir selbst! Wir erfahren Niederschläge, wachsen daran, „schaffen“ etwas und sind mal mehr mal weniger erfolgreich – und genauso wandeln sich unsere Vorstellungen vom Leben, vom Wichtig und Unwichtig und vom Richtig und Falsch.

Die Mär von „ich machte jetzt etwas genau so, damit ich „dann irgendwann“ mir etwas leisten/ ich etwas machen/verwirklichen/leben kann, hat in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nie funktioniert! Kann sie auch gar nicht: viel zu unabsehbar sind die unseren „Plan“ direkt oder indirekt betreffenden Veränderungen, auf die wir überhaupt keinen Einfluss haben – ein Beispiel:

Ein Landwirt schuftet sein Leben lang, um seinen Kindern eine (in seinen Augen) vielversprechende Lebens- und Ernährungsgrundlage zu schaffen. „Wie man das so macht“. Dies ist sein Wolkenkratzer, sein Lebens-Sinn und Ziel. Er baut und baut, arbeitet viel und hart. Zu dem Zeitpunkt, an dem er nicht mehr arbeiten kann und den Hof übergeben möchte, haben sich Art der Landwirtschaft so viele Veränderungen ergeben, dass ein Weiterführen des Hofes in der nächsten Generation völlig unlukrativ ist. Zudem besteht bei keinem der Kinder Interesse an einer Übernahme. Tja, und jetzt? Da hat jemand sein Leben lang den festen Bauplan eingehalten, alles für das festgelegte Ziel „höher, schneller, weiter“ gegeben, strukturiert und mit den vermeintlich besten Materialien – und doch hat es nie bis zum bezugsfertigen Bauwerk gereicht… es war ein Leben auf der Baustelle: zugig, ohne Fenster gegen Gegenwind aus der Gesellschaft, laut und ohne Rückzugsmöglichkeit, öffentlich, da keine Tür vor der Mitbestimmung durch andere zum Schutz verschlossen werden konnte.

Und trotzdem hat alles sein Für und Wider: Ziele können gut sein, dienen dann als tolle Motivation, wenn sie aus freien Stücken ohne Zwang verfolgt werden dürfen. Wenn das so ist: ran an den Wolkenkratzer!

Auch kann beispielsweise ein Turmzimmer des Luftschlosses zu einem Wolkenkratzer ausgebaut werden, wenn dieses etwas sein soll, über das wir uns gern definieren möchten oder einfach für jedermann eindrucksvoll sichtbar sein soll – die „goldene Mitte“ aus den weiter oben bereits angeschnittenen zahllosen Lebens-Bau-Stilen muss muss jeder für sich selbst definieren.

Doch wie schon gesagt: wir alle bauen Luftschlösser. Ob ab und an ein kleines, ganz aktiv um darin zu wohnen und Zimmer für Zimmer im Hier und Jetzt zu gestalten. Manche heimlich im Verborgenen aus Gründen des „das geht doch nicht“ oder „das kann ich doch nicht einfach machen“ – aber eben um sich die Fantasie im Alltag nicht gänzlich rauben zu lassen. Manche vielleicht auch total unbewusst.

Aber mal ehrlich: So richtig Spaß kann so ein Luftschloss doch nur machen, wenn wir dort auch einziehen, oder?

Dein Eindruck aus der Vogelperspektive

Schau ihn Dir mit uns doch einmal aus der Luft an, Deinen Wolkenkratzer. Erscheint er Dir immernoch so groß und eindrucksvoll? Was ist davon überhaupt für Dich sichtbar, während Du den Augenblick genießt?

Oder wir werfen einen Blick auf Dein Luftschloss: wie sieht es aus? Wo geht die Reise hin? Bist Du zufrieden oder sollte sich die Form wieder einmal ändern?

Ein Wechsel der Perspektive bringt in vielen Dingen entscheidende Einblicke und kann Deine Sicht auf die Dinge maßgeblich beeinflussen – lass los und sieh selbst 🙂